Nachhaltigkeit
Mit der üblichen (fast schon inflationär verbreiteten) Definition von Nachhaltigkeit als die gleichgewichtige Berücksichtigung von ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen in der menschlichen Gesellschaft stoßen wir seit längerer Zeit an Grenzen.
Zum Nachhaltigkeitsbegriff heißt es beispielsweise in der Niedersächsischen Nachhaltigkeitsstrategie: In seiner ursprünglichen Bedeutung steht Nachhaltigkeit für eine Form des Wirtschaftens, welche die Endlichkeit der eingesetzten natürlichen Ressourcen in Rechnung stellt und angemessen berücksichtigt. ... Nach heutigem, umfassenderen Verständnis steht Nachhaltigkeit für ein verantwortliches Handeln, das ökonomische, ökologische und gesellschaftliche (soziale) Auswirkungen gleichermaßen, gleich-berechtigt und langfristig berücksichtigt. ...
Die gleichrangige Gewichtung von Ökonomie und Sozialem sowie dem Umweltraum bzw. der Ökologie bei der Interessenbalance lässt sich solange aufrechterhalten, wie der Umweltraum, d.h. unsere Erde, tragfähig ist. Wenn der Umweltraum kollabiert, dann bricht die Wirtschaft zusammen und mit ihr das darauf beruhende soziale Ausgleichssystem.
Gleichrangige Gewichtung aller drei Bereiche:
Nachhaltigkeit ergibt sich aus deren gleichrangigen Berücksichtigung
Vorrangige Gewichtung der Ökologie:
Soziale und ökonomische Nachhaltigkeit basieren
auf der Tragfähigkeit der Ökosphäre
Der Gedanke der Nachhaltigkeit (sustainability) ist seit vielen Jahren ein Leitbild für politisches, wirtschaftliches und ökologisches Handeln. Seit den Anfängen wurden zahlreiche Definitionsversuche vorgenommen, die im Kern jedoch oft sehr ähnlich sind. Eine der meist gebrauchten Definitionen des Nachhaltigkeitsbegriffes ist die Definition des Brundtland-Berichtes der Vereinten Nationen von 1987. In dieser heißt es:
„Humanity has the ability to make development sustainable - to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs."
Frei übersetzt bedeutet dies:
„Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die gewährt, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen als gegenwärtig lebende.“
Nachhaltigkeit wird laut dieser Definition als eine Art Entwicklung beschrieben, die sowohl auf die Gegenwart als auch die Zukunft ausgerichtet ist.
Allerdings bietet diese Definition auch oft Material für Diskussionen, da sie Raum für unterschiedliche Interpretationen bietet. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass mittlerweile zahlreiche Begriffsdefinitionen kursieren. In Abhängigkeit ihres Ursprungs beziehen sich die jeweiligen Definitionen allerdings häufig nur auf Teilaspekte der Nachhaltigkeit (siehe Lexikon der Nachhaltigkeit!)
Der Teilaspekt der ökologischen Nachhaltigkeit gewinnt derzeit angesichts der Umweltbelastungen und des Klimawandels also immens an Bedeutung.
Folgerungen für die Produktverantwortung
Die Umsetzung der selektiven Kreislauffähigkeit von Produkten und der Produktion ist die Voraussetzung zur Erfüllung der Ressourcenkonsistenz, also einer Produktions-weise, von der keine schädlichen Auswirkungen auf Natur und Umwelt ausgehen sollen.
In der Konsequenz ergeben sich aus dem Leitbild einer solchen „idealisierten“ Kreislaufwirtschaft bzw. dem Ökodesign-Prinzip der Kreislauffähigkeit dann für technische Produkte die folgenden Anforderungen an Produkte und an die Produktion (Ecodesign Kit):
• Modularer Aufbau der Geräte
• Demontagerechte Baustruktur
• Demontagerechte Verbindungstechnik
• Reduktion der Materialvielfalt
• Auswahl einfach verwertbarer Werkstoffe
• Kennzeichnung von Teilen und Werkstoffen
• Kennzeichnung wertvoller bzw. schädlicher Werkstoffe
• Auswahl verwertbarer Werkstoffpaarungen, z.B. Vermeidung von Verbunden
Daran wird auch deutlich, wo die derzeitigen Grenzen des Ökodesign-Prinzips „Kreislauffähigkeit“ liegen: in der Praxis sowohl der Produktions- als auch der Entsorgungswirtschaft, die entlang von geschlossenen Produktionsketten keineswegs auf kleinteilige, auf selektive (Sekundär-) Material-Ausschleusungen ausgerichtet sind bzw. bzw. derzeit auch nicht darauf ausgerichtet sein können.
Die Eingrenzung von Freiheitsgraden in Entwicklung, Konstruktion, Material- und Technologieauswahl, Produktion, Distribution und Nutzung muss durch Rahmen-bedingungen erfolgen, die die Tragfähigkeit unserer Ökosphäre setzt (Ressourcen-suffizienz). In diesem Rahmen einer ökologischen Kreislauffähigkeit der Wirtschaft gibt es aber noch genügend Freiheitsgrade für die verantwortbare Machbarkeit von Produkten und Dienstleistungen. Der menschliche Erfindergeist wird mit Sicherheit eine für die menschlichen Bedürfnisse ausreichende Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen sicherstellen.
Andernfalls betreffen die ausgeschlossenen Freiheitsgrade gerade die Produktvarianten, die die Natur und Umwelt schädigen: mit der ökologischen Eingrenzung der Ressorcenvielfalt wird die Freiheit zur Schädigung von Natur und Umwelt beschnitten, was angesichts des Klimawandels, des Artensterbens und der zunehmenden Umweltschädigungen durch Mikroplastik und anderer Stoffeinträge so schnell und so gründlich wie möglich durchgesetzt werden muss.
Die Produktverantwortung muss sich genau in diesem Sinne der „Kreislauffähigkeit“ als Leitprinzip für die nachhaltige Produktion von Gütern und Dienstleistungen erweisen und bewähren. Auf diese Weise gelangt man dann von der Ressourcen-effizienz zur Ressourcen- und Produktionskonsistenz mit der Ressourcensuffizienz als Rahmenbedingung.
Nachhaltigkeit im Bereich Wirtschaft/Produktion:
Das Ziel der „Entkopplung“ des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauchs soll dadurch erreicht werden, dass die Ressourceneffizienz auf dem Weg von der bislang vorherrschenden linearen Wirtschaftsform hin zur Kreislaufwirtschaft derart gesteigert wird, dass die Produktion im Ergebnis weitgehend „dematerialisiert“ und die Umweltauswirkungen drastisch reduziert werden. Die bisherigen diskutierten und angewandten Konzepte und Verfahren haben den linearen Wirtschaftsprozess nicht ändern können – eine wirksame Kreislaufwirtschaft kann offensichtlich mit den bisherigen Ansätzen nicht entstehen.
Die Lösung kann nur darin bestehen, dass einmal gewonnene Ressourcen möglichst für immer (d.h. praktisch: solange wie möglich, beginnend als Sekundärressourcen) im Produktionskreislauf gehalten werden. Die einmal gewonnenen Ressourcen werden dann immer wieder zum Ausgangsrohstoff für jeden weiteren Produktionszyklus, auf den die Kriterien für Ressourcen- bzw. Materialeffizienz wiederum zutreffen.
Dieses entspricht genau dann im ökologischen Sinn der „Konsistenz“ des Produktionsprozesses, der ohne Schadstoffbelastung für die Umwelt abliefe.
In der Realität lässt sich dieser „Idealwert“ allerdings aus physikalischen Gründen grundsätzlich nicht verwirklichen, und technisch ist dieser Zielwert auch praktisch nicht zu erreichen. Der Zielwert müsste so angestrebt werden, dass die entstehenden Abfälle und Emissionen die Tragfähigkeit des ökologischen Systems nicht überschreiten.
Das Produktionssystem muss also in eine Kreislaufwirtschaft mit immer mehr zu schließenden Einzel-Kreisläufen transformiert werden. D.h.: Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft muss „selektiv“ realisiert werden, es müsste auf jedes einzelne Produkt, auf miteinander verbundene Produktgruppen und auf produktübergreifende, verbundene Produktionsprozessketten (Kuppelproduktion) bezogen und angewandt werden.
Ein wichtiger Schritt bestünde darin, die Produktion, also die Hersteller insgesamt, stärker mit der Abfallwirtschaft zu verzahnen, um in einzelnen Prozessen als auch prozess-, fabrik- oder branchenübergreifend effektive Recyclingketten zu realisieren. In weiteren Schritten sollten dann größere Hersteller für sich und kleinere bis mittlere Hersteller im Rahmen von Hersteller-Symbiosen (Industrie-Symbiosen) befähigt werden, effektive Recyclingketten aufzubauen
Für die Realisierung einer naturverträglichen Wirtschaft ist eine solche Produktions-konsistenz notwendig und im idealen Sinne auch hinreichend. Allerdings wird dies erst dann realisierbar sein, wenn der Wandel des industriellen Systems hin zur biobasierten Produktion gelingt. Die Biologische Transformation der industriellen Wertschöpfung beschreibt die zunehmende Nutzung von Materialien, Strukturen, Prozessen und Organismen der belebten Natur in der Technik. Sie könnte in den nächsten Jahrzehnten die gesamte Industrie und Gesellschaft revolutionieren.
Kreislaufwirtschaft mit dem alleinigen Konzept „Ressourceneffizienz“ ist also nicht hinreichend zur Begrenzung der Ressourcenentnahme und der Umweltauswirkungen. Nur eine „selektive Kreislaufwirtschaft“, die sich auf jeden einzelnen Produktions-prozess bzw. einzelne Produktionsprozesskette (im einzelnen Betrieb oder in einer Lieferkette) bezieht, könnte zur „vorläufigen“ Ressourcenkonsistenz beitragen.
Ökologische Nachhaltigkeit
und öko-soziale Innovationen
Die ökologische Nachhaltigkeit ist ein zentrales Zukunftsfeld und ein Quer-schnittsthema zugleich, da diese den Umweltraum als Existenzgrundlage der Menschen für alle Bereiche des öko-nomischen und sozialen Lebens in den Fokus nimmt. Eine Vernachlässigung der ökologischen Nachhaltigkeit führt dazu, dass bestimmte lebenswichtige Ressourcen unwiderruflich zerstört oder unbrauchbar gemacht und damit die Chancen für jegliche weitere Entwicklungen vernichtet werden.
Der Umweltraum ergibt sich aus der Tragfähigkeit der Ökosysteme und der Verfügbarkeit bzw. der Regenerations-fähigkeit der natürlichen Ressourcen. Er bezieht sich somit auf biotische oder abiotische Ressourcen/Rohstoffe, die aus der natürlichen Umwelt entnommen wer-den können und auf die Fähigkeit der Biosphäre, Abfälle aufzunehmen und zu absorbieren. Der Umweltraum kann aber auch umgekehrt durch Regeneration geschädigter Ökosysteme wie Auffors-tungen, Flächen-Entsiegelungen, Renatu-rierungen von Fließgewässern und Moor-brachen usw. wieder erweitert werden.
Wegen der Begrenztheit des Umwelt-raumes müssen alle Zukunftsfelder eines Innovationskonzepts einem Nachhaltig-keitsparadigma unterliegen und in allen Zukunftsfeldern müssen Nachhaltigkeits-maßnahmen im Sinne eines Querschnitts-themas realisiert werden.
Eine an ökologische Nachhaltigkeit orien-tiertes Innovationskonzept sollte Zukunfts-lösungen auf den folgenden Entwicklungs-stufen bereitstellen:
Öko-Effizienz
bezieht sich auf Ressourceneffizienz hin-sichtlich der Rohstoff- und Energiever-sorgung und der Güterproduktion (Stich-worte: Energieeffizienz, Minimierung CO2-Emission, Recycling, ...)
Öko-Effektivität - Öko-Konsistenz
bezieht sich auf naturverträgliches Wirt-schaften hinsichtlich der Rohstoff- und Energieversorgung sowie der Güter-produktion (Stichworte: Biologische und technische Kreislauwirtschaft, Kompos-tierbare Werkstoffe aus der Natur (Agro-biopolymere etc.), Wiederaufbereitung gebrauchter technischer Produkte, frugale Produktionssysteme, ... „cradle to cradle“ – Prozessketten, Ultraeffizienzfabrik, ...)
Öko-sozialer Paradigmenwechsel zur Öko-Suffizienz
bezieht sich auf nachhaltige Lebensstile im Konsumverhalten (Stichworte: Nutzung von Energie- und Produktdienstleistungen anstelle des Besitzes von Anlagen und Produkten („gut leben statt viel haben“) sowie aus die „ökonomische“ und „soziale“ Bewertung bzw. Bepreisung von Ökosys-temleistungen, ...)
Die stufenweise Umsetzung eines solchen Nachhaltigkeitskonzeptes in einer Indus-triegesellschaft wird auch zukünftig nicht völlig ohne Schädigung der Natur ablaufen können, und es werden die fortschreitende Effizienz und Konsistenz (Effektivität) industrieller Prozesse nicht ausreichen, um die Belastungen des Umweltraumes angesichts des Bevölkerungswachstums und des Rebound-Effektes unter einer irreversiblen Zerstörungsschwelle zu halten. Deshalb sind darüber hinaus soziale Innovationen im Sinne der Nachhaltigkeit hinsichtlich der Kategorien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sicherlich zwingend geboten - zumindest bis zur vollständigen biologischen Transformation der industriellen Wertschöpfung.
Letztendlich muss das Zukunftsfeld „Nach-haltigkeit“ ökologische Zielsetzungen auch mit Gerechtigkeitsfragen verknüpfen, da alle Menschen den gleichen Anspruch auf die Nutzung dieses Umweltraumes haben, die gewärtige ebenso wie die zukünftigen Menschheitsgenerationen sowie unab-hängig davon, in welcher Region der Erde sie leben.
Auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerich-tete Innovationen müssen deshalb alle Lebensbereiche des Menschen betreffen von der Wirtschaft über die Gesellschaft (Soziales) bis zur Natur und Umwelt
Die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2030 schafft die Grund-lage dafür, weltweiten wirtschaftlichen Fortschritt im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit und im Rahmen der ökolo-gischen Grenzen der Erde zu gestalten.
Die Agenda 2030 wurde im September 2015 auf einem Gipfel der Vereinten Nationen von allen Mitgliedsstaaten verabschiedet. Sie wurde mit breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft in aller Welt entwickelt und stellt einen Meilen-stein in der jüngeren Geschichte der Vereinten Nationen dar.
Beispiel für den Bereich
Gesellschaft/Soziales/Konsum
Damit aus einer sozialen Idee eine soziale Innovation wird, muss sie die Bewältigung einer konkreten Problemstellung bzw. die Befriedigung eines in der Gesellschaft vorhandenen „Bedürfnisses“ ermöglichen und Akzeptanz finden. Über den konkreten Fall hinaus beeinflussen soziale Innova-tionen allgemein die Anpassung und Weiterentwicklung von Formen gesell-schaftlicher Steuerung. Das könnten/sollten Anreizsysteme sein, die zu einer Veränderung des Konsumverhaltens bzw. zu einem Paradigmenwechsel führen, der z.B. auf absolute Energieeinsparungen, auf „Konsum“ von Energie- und Produkt-dienstleistungen anstelle des Erwerbs von Eigentum an Anlagen und Produkten zielt sowie die Ökosystemleistungen öko-nomisch wie sozial bepreist.
Beispiel für den Bereich
Natur/Ökosystem:
Anreize für die Instandsetzung und Entwicklung von Ökosystemleistungen bei der Naturnutzung sind z.B. Rückbaumaß-nahmen versiegelter Flächen und Rückbau ausgebauter Fließgewässer, Erhöhung der Agro-Biodiversität in der Landnutzung und Agrarwirtschaft, regionale und sozial integrierte Landnutzungskonzepte (wie z.B. Urban Farming in Städten), Anpassungs-maßnahmen an den Klimawandel, Ent-wicklung neuartiger Verfahren zur Wieder- herstellung von Ökosystemleistungen (insbesondere für Brachflächen), Entwick-lung und Implementierung ökonomischer und sozialer Bewertungsmethoden zur Biodiversität etc. (Siehe z.B. „Förderung von Forschungsvorhaben zur Umsetzung der nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt des BMBF!)