Lernen und Entwicklung in Organisationen und Netzwerken

Learning and Empowerment in Organizations and Networks

Lernende Organisation

Von der Qualität der Produktion zur “Produktion” von Qualität

Infolge des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels in den industriell entwickelten Ländern haben sich in den vergangenen wenigen Jahrzehnten die Vorstellungen über die Sicherung der  Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen deutlich gewandelt. Eher produkt- und organisations-orientierte Unternehmensmodelle sind von Führungsmodellen abgelöst worden, die neben den Produkten und Prozessen vor allem die Lern- und Innovationspotenziale der Beschäftigten in den Blickpunkt nehmen. Die „Lernende Organisation“ ist das umfassendste Modell, das eine ganze Bandbreite von Organisations- und Führungsmodellen einbinden kann. 


Organisation und Führung, Strategie und Prozesse, Lernen und Wissensmanagement sind die zentralen Themen, das  die Beschäftigten auf allen Unternehmensebenen befähigen soll, die „Lernende Organisation“ als Prozessorganisation „zu leben“. Voraussetzung hierfür sind zwei Grundprinzipien, die es umzusetzen gilt: Die Verbindung von individuellem und organisationalem Lernen als führungsorientierte Säule der Lernenden Organisation und die Verbindung von Arbeiten und Lernen als die mitarbeiterorientierte Säule.


Die folgende Grafik veranschaulicht den Weg eines Unternehmens von der hierarchisch-funktionalen Organisation über die geschäftsprozessorientierte Organisation hin zur Lernenden Organisation als Führungsprozess des Unternehmens.

Lernende Organisation

Mit dem Konzept der „Lernenden Organisation“ wird eine entscheidende Synthese von Organisation und Führung angestrebt wie sie u. a. von Peter Senge Mitte der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts (erneut) in die Diskussion der Management-Modelle gebracht wurde. Eine lernende Organisation ist eine Gruppe von Menschen, die miteinander lernt. Dieses Lernen geschieht im Kontext der Aufgaben, die diese Menschen teilen. Eine lernende Organisation entsteht aus individuellem Lernen dann, wenn fünf Zieldimensionen erfüllt werden müssen: „Mentale Modelle“ als Entscheidungswissen zur Unternehmenssteuerung, „Gemeinsame Visionen“ als Grundlage für die intrinsischen Motivationen aller Organisationsmitglieder,  „Persönliche Entwicklung/persönliches Wachstum“ zur Entfaltung der Persönlichkeiten auf allen Mitarbeiterebenen, „Gemeinsames Lernen/Team-Lernen/Team-Dialog“ zur Schaffung von Synergien sowie „Systemdenken“ im Sinne einer ganzheitlichen Problem-wahrnehmung und von ganzheitlichen Handlungsperspektiven. Besonders diese letzte Dimension „Systemdenken“ sei die Schlüsseldimension zur Selbstorganisation des Lernens in der „Lernenden Organisation“. Ein wesentlicher Schritt, das Unternehmen zu befähigen mit komplexen Systemen umzugehen, bestehe darin, dass die Führungs-kräfte befähigt werden, miteinander zu denken, zu suchen, zu forschen, und zu erkunden. Sie müssen als erste fähig werden, als Team zu lernen. 

Empowerment

Arbeitsprozessintegrierte Personalentwicklung


Nicht die Technik begrenzt die Unter-nehmensentwicklung – sie ist längst allge-mein verfügbar – sondern die Motivation und Leistungsfähigkeit der  mitarbeitenden Menschen („Humanressourcen“) in den Unternehmen!


Das Kernprinzip moderner Organisations-konzepte ist Teamarbeit über Fachgrenzen und Hierarchiestufen hinweg mit mehr individueller und kollektiver Eigenver-antwortung. Die Fähigkeit zur Teamarbeit und die gestiegene Eigenverantwortung kann man nicht in abstrakten Lernpro-zessen, sondern nur in der Praxis der Kooperation und anhand ganzheitlicher Aufgabenstellungen erwerben. In dem Maße, in dem im Zuge einer Umstruktu-rierung Teamkonzepte Gestalt annehmen, entwickeln die Beschäftigten in diesen Teams Mitbestimmungskompetenzen. Hier müssen die Beschäftigten und ihre Interes-senvertretungen unterstützt werden, neue Wege zu gehen. Die breite Mitarbeiter-beteiligung stärkt deren Handlungskom petenz und verbreitert die Wissensbasis des Unternehmens.


Die betriebliche Praxis besteht in der direkten Wahrnehmung aus Aktionen, den durchgeführten Einzelhandlungen in der Arbeitstätigkeit. Nicht nur in Wirtschafts-unternehmen sind das in den überwie-genden Fällen reine „Arbeitshandlungen“. Die Integration von Lernanteilen in die Arbeitshandlungen ist eine der zentralen Aufgaben zur Realisierung der „Lernenden Organisation“ als Führungskonzept.


Um Lernanteile in die Arbeitstätigkeiten zu integrieren, sind die entsprechenden Prozesse ganz analog zu denen zu gestal-ten, mit denen die Arbeitstätigkeiten strukturiert werden. Lernen und Arbeiten müssen dabei auf möglichst optimale Weise verzahnt werden. Hierzu bedarf es zunächst eines besonderen „Leitpro-zesses“, durch den die Visionen, Strategien und die Kernprozesse des Unternehmens kontinuierlich überprüft und weiterent-wickelt werden, um das Unternehmen an das sich ständig ändernde Umfeld anpas-sen zu können.


Es geht also um die Schaffung von Strukturen, Prozessen, Konzepten und Technologien, die das Unternehmen zur nachhaltigen Sicherung seiner Leistungs-potenziale und zum ständigen Lernen für alle Mitarbeiter/innen als Basis für die Zukunftsfähigkeit befähigt.


Auf diese Weise wird das Unternehmen ein Stück weit selbst zum Bildungsträger, das seine Innovationsfähigkeit auf Dauer erhalten kann - durch die Integration von Lernen und Arbeiten und mit Hilfe der eigenen Führungskräfte als interne Lern- und Innovationsberater/innen. 

 



Lernende Organisation (LO) heißt dann im Ergebnis, dass alle Lernprozesse individuell und organisational auf die durch die Strategie vorgegebenen Ziele  ausgerichtet und gebündelt werden müssen. Dazu bedarf es  einer Struktur, in der Personal- und Organi-sationsentwicklung mit einander verbunden werden und die Wissensbasis des Unternehmens ständig erweitert wird. In der LO wird durch eine geeignete Informations- und Kommunikationsstruktur sowie durch ein systematisches Qualifizierungsmanagement die Kohärenz zwischen organisationalem Lernen und Wissensmanagement herzustellen sein. Aber vor allem muss die ständige Strategieentwicklung und die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse im Unternehmen strukturell gesichert werden, wenn ständiges Lernen und Wissensmanagement konkret und zielgerichtet eingesetzt werden sollen. Die Lernende Organisation beschreibt also keinen „Zustand“, sondern eine „Prozessdynamik“.


Die Lernende Organisation ist also eine Unternehmens-Prozessstruktur, welche die Strategieumsetzung mit nachhaltigem Erfolg ermöglichen und optimieren soll. 


In dieser Sichtweise stellt die „Lernende Organisation“ in gewisser Weise eine „dynamische Balanced Scorecard“ dar und ermöglicht ebenso die ständige Selbst-bewertung gemäß dem EFQM-Modell sowie die Einleitung und Führung von Veränderungsprozessen nach anderen Modellen oder Konzeptionen. Die Lernende Organisation („LO“) stellt somit den „Befähiger“ für das (mittelständische) Unternehmen dar, mit strategisch begründeten Veränderungsprozessen als Ganzheit, als Organisation den Heraus-forderungen des Umfeldes proaktiv zu begegnen. 

Die Integration des Lernens in die Arbeits-umgebung, die Entwicklung geeigneter Lernszenarien, die Lernprozessgestaltung sowie die Unterstützung der Lerner/innen durch Tutoren und Mentoren sind in diesem Zusammenhang zentrale Heraus-forderungen.


Die nachhaltige Veränderung der ent-sprechenden Unternehmensstrukturen muss alle Mitarbeiter/innen bzw. alle Unternehmensebenen erfassen. Der „Hebel“ dazu liegt aber in der strate-gischen und operativen Beteiligung sowohl der Unternehmensleitungen als auch der Arbeitnehmer*innen-Vertretungen.


Wenn Lernen in der Arbeit zu einem alltäglichen Tatbestand geworden ist, wenn die Verfügbarkeit von Lernres-sourcen sowie die Disponierbarkeit von Lern- und Arbeitszeiten in einem ver-nünftigen Umfang eigenverantwortlich bestimmt werden können, dann haben sich im Unternehmen die wichtigsten inno-vativen Strukturen einer Lernenden Orga-nisation entwickelt. Das Unternehmen ist dann - unter Wahrung des Primats der Wertschöpfung - ein Stück weit selbst zum (eigenen) „Bildungsträger“ geworden.

Entwicklungspartnerschaften


Die mittlerweile gesammelten Praxis-erfahrungen zeigen, dass es nicht ausreicht, die Kernprozesse neu zu ordnen, um das Unternehmen zur „Lernenden Organisation“ zu entwickeln, sondern es muss dabei auch die Führungsstruktur verändert werden. Der Wandel führt dann von der funktionalen, hierarchischen Ordnungsstruktur zu einer Prozessstruktur, die auf einer teamorientierten Führungs-kultur aufsetzt. Ein Betrieb, der sich zu einem Prozessunternehmen entwickeln möchte, muss nicht nur das Beziehungs-geflecht zwischen den Führungskräften ändern, sondern auch die Art des Um-gangs mit den Beschäftigten. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Teams ver-fügen über die breit angelegten Kenntnisse des Geschäftsprozesses und sie können an den Prozessergebnissen gemessen werden. Die Teams übernehmen selbst die meisten Führungspflichten. Das Rollenverständnis der Führungskräfte muss sich in Folge dessen entscheidend ändern hin zum Koordinator und Coach der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und zu deren Förderer und Entwickler einerseits und zum Prozessgestalter und Sachwalter der Interessen von Kunden und Lieferanten andererseits.



Selbstkonsistenz der Lernenden Organisation

Instrumentelles und strategisches Lernen


Jede Veränderung des Systems kann nur eine Selbständerung sein. Entsprechend ist auch die Steuerung einer Organisation nur in der Form der Selbststeuerung möglich. Veränderungen können nur durch das Unternehmen selbst erfolgen. Die Organisation, das Unternehmen, ist ein selbstreferentielles System, das sich auf Grund der Beobachtung von Differenzen zur Umwelt verändert. Nur wenn das System eine System-Umwelt-Differenz im Sinne einer Selbstregelungsanforderung wahrnimmt, ist Veränderung möglich.


Dieses Vorgehen entspricht dem Selbstkonsistenzprinzip der Lernenden Organisation. Jede Personal- und Organisationsentwicklung auf Grund strategisch ausgerichteter und arbeitsorientierter Maßnahmen entspricht stets einer vorläufigen Annahme über die „richtige“ Anpassungsleistung des Unternehmens an das Umfeld. 


In einer ersten Lernschleife (single loop learning) passt sich das Unternehmen mit Hilfe seiner Infrastruktur (Organisation) des Qualifizierungs- und Wissensmanagements an die vorgegebenen Sollwerte, d. h. an die Unternehmensziele an. Bei dieser Aktivität des organisationalen Lernens - instrumentelles Lernen bzw. Anpassungslernen - werden die  Betriebsergebnisse bei geringen Abweichungen ggfls. nach einer Korrektur erreicht. Hierbei handelt es sich quasi um die „Syntaktik“ des Veränderungsmanagements im Unternehmen.


Stellen sich allerdings erhebliche Abweichungen bei den Betriebsergebnissen heraus, die sich durch einfache Korrekturen in den Prozessen und Arbeitsabläufen nicht beheben lassen, dann müssen ggfls. Prozesse innoviert bzw. die Voraussetzungen des Organisationskonzepts insgesamt revidiert werden. Bei dieser Lernschleife (double loop learning) geht es um strategisches bzw. innovatives Lernen - es handelt sich dann quasi um die „Semantik“ des Veränderungsprozesses im Unternehmen.





Da sich besonders kleine und mittlere Unternehmen keine eigen Abteilungen für „Innovation und Lernen“ leisten können, sind sie auf entsprechende Partnerschaften und Netzwerke - Entwicklungspartnerschaften - angewiesen, die sie dabei unterstützen und befähigen, den Wandel zur Lernenden Organisation zu gestalten und dauerhaft zu leben.


(Konzeptionelle Darstellungen und praktische Beispiele zum Thema Lernende Organisation z.B. in Wolfgang Wesely (Hrsg.): Synergien durch regionale Netzwerke. Von der lernenden Organisation zur lernenden Region. Band 8 der ArtSet Schriftenreihe für kritische Sozialforschung und Bildungsarbeit, Expressum Verlag, Hannover 2001 sowie: Wolfgang Wesely, Auch Unternehmen müssen Lernen lernen - Lernende Organisation als Unternehmensprozess-Modell, in Intervention in KMU - EQUAL fördert Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten, Hrsg. „Thematisches Netzwerk „Intervention in KMU“ gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und durch den  Europäischen Sozialfonds, Berlin 2005 und: Wolfgang Wesely, Lernen und Entwicklung in Organisationen und Netzwerken, Projektbericht, Hannover 2006)